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2017-08-22

Mehr Respekt vor Familien

Ich war lange Zeit am Schwanken, ob nicht doch das Wahlplakat der Grünen zu Kinderarmut (gibt's zu kaufen) "Kinderarmut kann man kleinreden. Oder gross bekämpfen." mein Favorit hinsichtlich versteckter Mehrdeutigkeit ist. Ausgerechnet die Grünen gendern mal nicht, sondern benutzen das klassische man. Aber vielleicht soll damit auch gesagt werden, dass es eine typische Begleiterscheinung einer von Männern geprägten Welt ist, wenn Kinder arm sind. frau würde Kinderarmut nie kleinreden. Und überhaupt Kinderarmut … geht es dabei um wegen finanzieller Armut Not leidende Kinder oder vielleicht doch um die Armut an Kindern. Letzteres ist ja eher aus katholischen oder konservativeren Kreisen zu hören und damit würde man die Grünen nicht sofort in Verbindung bringen. Die Hoffnung, dass das Bild auf dem Plakat Klarheit verschafft, wird auch enttäuscht: Die violetten Bauklötze lassen an Karlsruher Neo-Klassizismus denken und an Kinderhände, die sie zusammen gesetzt haben. Aber ob diese Kinderhände arm und mangelernährt waren oder ob sie einsam – weil ohne Geschwister – waren, kann ich nicht erraten.

Letztendlich hat aber ein Plakat der CDU das Rennen gemacht, das ebenso wie sein grüner Gegenpart bemüht ist, der Unterstellung, Parteien hätten keine Inhalte mehr, sondern nur noch Bilder und Stimmungen, die sie kommunizieren, zu entkräften.

Auf ihrer eigenen Seite https://www.cdu.de/artikel/praesentation-der-kampagnen-werbelinie schreibt sie dazu:

Für mehr Respekt für Familien
Familien begegnet die CDU mit Respekt: "Wir schreiben ihnen nicht vor, wie sie zu leben haben", sagte er. Unsere Politik sorge dafür, dass sie ihr Leben so gestalten könnten, wie sie es sich wünschten.

Aha, hier also doch "Respekt für …" und "mit Respekt begegnen". Warum aber nicht auf dem Plakat, dass jeder sieht? "Respekt vor Familien", da hat die CDU wohl noch deutliche Schwierigkeiten manche Jugendkulturen zu integrieren bzw. aufzusaugen. Jedem, der auch nur einmal, mit einem aus der Hip-Hop oder Rap Szene zu tun hatte, ist doch klar, dass "Hey, Respect …" fast immer von einem anerkennenden Kopfnicken begeleitet ist und damit etwas ist, was der Rapper seinem Gegenüber entgegenbringt, also eine Art Ehrerbietung. Erst in zweiter Linie, ist es etwas, das man einfordert (die wirklich Coolen müssen natürlich nichts einfordern, die bekommen es von ganz alleine). Es ist auch ein Geben und Nehmen, wobei der echte Rapper sicherlich sagen wird, "Wieso geben und nehmen? Das ist doch kein Handeln aufm Markt. Respekt ist eine Lebenskultur!". Bei den diversen Begrüßungsritualen in der Szene lässt sich auf jeden Fall gut beobachten, dass da doch ein ordentlicher Teil Geben und Nehmen bzw. "wie du mir so ich dir" drin steckt. Da gibt es schon einen deutlichen Kodex, dass jeder das Ritual einzuhalten hat. Ich kann mir da nicht helfen, ein bisschen erinnert mich sowas immer an die erste Szene vom Paten mit Marlon Brando. Wie auch immer die beiden Seiten (oder eben die beiden Begrüssenden) haben füreinander Respekt oder bringen sich einander Respekt entgegen. Respekt in diesem Sinne ist immer eine Art Anerkennung.

Klar, gibt es auch den Respekt vor, aber dann bezieht sich das – zumindest bei mir – auf Institutionen: Ich habe Respekt vor der Polizei und vor der Staatsanwaltschaft bzw. der Strafverfolgungsbehörde. Aber ich habe für den Polizisten Respekt, für den einzelnen Menschen, wenn er bei einer Demo, wo er eigentlich gar nicht hin will, für die Allgemeinheit und das Demonstrationsrecht den eigenen Kopf hin hält. Okay, es ist meistens nicht der Kopf, sondern ein Helm, oder eben genau genommen ein Kopf unter einem Helm. Aber der Unterschied sollte klar sein: Man hat für Individuen Respekt und vor Institutionen oder Behörden.

Die CDU sagt also indirekt mit ihrem Wahlplakat, dass sie die Familie nicht als einzelne Individuen sieht, sondern als eine Institution. In der Tat ist die Ehe bei uns in Deutschland rein rechtlich auch tatsächlich eine Institution. Respekt vor der Ehe ginge also durchaus irgendwie, auch wenn ich lange darüber nachgrübeln müsste, was das denn jetzt konkret bedeuten soll. Aber Familie ist was gewachsenes, die aus einzelnen Personen besteht, zumindest als Kind wird man da einfach ungefragt hinein geworfen, ohne dass ein Beamter eine Unterschrift zur Beglaubigung verlangen würde. Also hat bei der Union doch der alte Leitsatz "Keine Familie ohne die (Institution der) Ehe" gesiegt?

RolF