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2017-01-29

Robin Hood und die Folgen

In der ZEIT vom 19.Januar war in einem Artikel aus der momentan sehr gerne aufgelegten Serie "Erklär' mir den Populismus, und vor allen Dingen weshalb er so erfolgreich ist" folgender Abschnitt über die Psychologie der Zielgruppe des Populismus zu lesen:

Die ursprüngliche, entscheidende Wählergruppe der Rechtspopulisten aber entstammt der Unterschicht, früher sprach man von den "einfachen Leuten". Sie wohnen nicht im Hamburger Schanzenviertel, sie wohnen auch nicht im New Yorker Stadtteil Brooklyn oder im Quartier Marais in Paris. Trotzdem glaubt man, sie dort zu kennen. Man meint zu wissen, dasss sie sich billig kleiden, billig ernähren und ihren Kindern billig klingende Vornamen geben.(1)
In der modernen Welt gibt es viele Minderheiten, hin und wieder werden ihre Namen verändert. Aus "Negern" wurden "Schwarze" und "African Americans". Aus "Krüppeln" wurden "Menschen mit Behinderung" und "anders Begabte", aus "Eskimos" wurden "Inuit".
Aus den "einfachen Leuten" wurden "Asis", "Proleten" und "White Trash".

Das wirkt auf den ersten Blick einleuchtend, weil es die Gefühlslage der weißen Verlierer verständlich macht. Es gibt da aber ein paar Dinge zu bedenken. Zum einen darf sich das Beurteilen nicht auf das beschränken, was geschieht (der einen Gruppe wird gegeben, der anderen wird genommen), sondern muss auch die Ausgangslage mit berücksichtigen. Über den Satz, "Die einen müssen mehr Steuern zahlen, die anderen weniger", kann man sich moralisch aufregen, wird das aber kaum mehr tun, wenn die Ausgangslage mit einbezogen wird: "Die Reichen müssen mehr Steuern zahlen, die Armen weniger". Dann wird man sich nur noch darüber aufregen, dass die Wirklichkeit in den meisten Staaten diesem Ideal weit hinterher hinkt.

Wenn bisher benachteiligte, Schwarze und Behinderte, gegenüber Normalos (eigentlich wollte ich "Normalbürger" schreiben, aber das Wort blieb mir im Hals bzw. in den Fingern stecken, weil es indirekt Schwarze und Behinderte zu unnormalen Menschen macht) bevorteilt werden, ist das keine ungerechte Behandlung sondern sorgt dafür, Chancengleichheit herzustellen. Dieses Konzept ist von anderen Bereichen bekannt (Frauenbeauftragte, Gleichstellungsbeauftragter) und wird immer mal wieder gerne ausgeblendet, um die eigene, vermeindliche Benachteiligung in den Vordergrund zu rücken. Natürlich ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten, das eine Bevorzugung von Frauen nicht an sich gut ist, sondern nur als Mittel zur Herstellung der Chancengleichheit gerechtfertigt ist. Wenn sich die Ausgangslage im Laufe der Zeit verändert, ist unter Umständen eine Korrektur der eingesetzten Mittel notwendig. Übersetzt in unsere obige Ausgangsproblemstellung lautet die Kontrollfrage also: "Hat ein Schwarzer oder ein Moslem die gleichen (Aufstiegs-)Chancen wie ein Sachse aus der unteren Mittelschicht?" Der Sachse, der in Hoyerswerda seine zwanzigste Absage bekommt und mindestens genaus so viele Bewerbungen, die komplett unbeantwortet blieben, hinter sich hat, wird das wahrscheinlich anders sehen als der, der die Chancen des Schwarzen in Dortmund mit denen des Sachsen in einer Baden-Württembergischen Stadt vergleicht, wobei der Sachse auch noch psychisch stabil genug ist, um die Häme über seinen Dialekt wegzustecken.

Wenn sich "einfache Leute" als Opfer sehen, entspricht das nicht unbedingt der Realität, sondern in dieser Sicht steckt viel Stilisierung drin. Auch der Blick auf die abwertenden Bezeichnungen muss differenzierter ausfallen. Es werden ja nicht generell alle "einfachen Leute" als "Proleten" bezeichnet. Diese Bezeichnungen werden ja erst verwendet, seit sich einzelne aus der Gruppe der einfachen Leute plakativ und selbstverliebt in den verschiedenen Reality-TV Formaten des (Achtung, wieder abwertend) Unterschichten-Fernsehens zur Schau stellen. Oder hat jemand den Begriff White Trash vor Donald Trump gekannt?

Die offene Frage ist, ob man mit der gleichen Motivation zur Pegida-Demo geht wie ins Dschungel-Camp. Wer ins Dschungel-Camp geht oder bei den anderen Reality-TV Shows auftritt, lässt sich ja auf einen sehr einfachen Handel ein: "Du bekommst Geld dafür, dass sich andere auf deine Kosten amüsieren können. Naja, und ein bisschen wichtig darfst du dich dabei auch fühlen." Einigen der Pegida Protagonisten wird man eine ähnliche Profilneurose nicht absprechen können. Sie verkaufen allerdings nicht ihre Seele, indem sie auch von RTL-2 bezahlt werden. Hm, vielleicht sollte ich, was denn letzten Satz betrifft, doch noch mal etwas genauer nachforschen, ein paar Zweifel habe ich da schon.

Aber was ist mit den anderen Pegidistas(2), die da nur aus einem Gefühl heraus hingehen, um ihrem (angestauten) Unmut Luft zu verschaffen? Der aufgeklärte Liberale geht natürlich ins Kabarett, wenn er ein Ventil für seinen politischen Unmut braucht. Diese Option bietet sich dem Pegida-Gänger nicht. Ab und an zur Pegida-Demo zu gehen, kann ich durchaus als legitimes und demokratisches Mittel akzeptieren, um seine Meinung kund zu tun (die mir nicht unbedingt gefallen muss). Aber wenn das jemand regelmäßig macht, keimt in mir der Verdacht auf, dass es ihm nur um eine Selbstinzenierung geht und er daran Gefallen findet, den "das-wird-man-doch-mal-sagen-dürfen" Mut des Redners auf der Bühne zu beklatschen, in der Hoffung, dass ein bisschen von der Aura des im Scheinwerferlicht stehenden auf ihn selber zurück fällt.

Woran aber liegt es, dass wir dem regelmäßigen Teilnehmer einer Gewerkschaftsdemo Standhaftigkeit attestieren, wo doch bei einer solchen Demo Banker und andere Groß-Kapitalisten genauso pauschal verunglimpft werden wie die Flüchtlinge bei Pegida? Vielleicht, weil ein Schimpfen über das Kapital immer etwas von Robin Hood hat und die Mächtigen und nicht die Schwachen trifft. Andererseits wird ja bei Pegida auch über das Kapital geschimpft.

Also bleibt die Frage zum Schluss: Wäre Robin Hood zu Pegida gegangen? Eine Antwort darauf wird es nicht geben. Stattdessen kommt die direkte Gegenfrage: Welcher Robin Hood? Der echte? Oder der wahre? Oder der aus unseren Träumen?


(1) Das ist ein alter und wirksamer Kniff, um das elitäre Gefühl zu verstärken: Jeder denkt, die billigen Vornamen zu kennen und darf deshalb innerlich grinsen. Auch ich, als kinderloser Single.

(2) Wem dieser Begriff unangemessen vorkommt, weil er zu sehr nach Sandinista, also aufrichtigem Befreiungskampf klingt, der sei daran erinnert, dass früher auf den Demos gerne skandiert wurde: Bürger lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!. Und heute, da die "Bürger" mit etwas Verspätung auf diesen Satz reagieren, ist es uns auch nicht recht.