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2016-11-08

Warum aus aufklärenden Texten abschreckende Bilder geworden sind

Wahrscheinlich hat jemand im Bundesgesundheitsministerium auf einem der vielen Bahnhöfe zwischen Bonn und Berlin Wartezeit überbrücken müssen (nein, hier kommt jetzt kein Bahn-Bashing, es dauert ja auch noch ein bisschen zum nächsten Streik der Lokführergewerkschaft) und ist dabei in bester Feldforschungsmanier in einen der Tabakläden gegangen, die es dort noch hat und zwar meistens noch nicht mal an irgendwelchen unpopulären Orten direkt neben dem Bahnhofsklo. Gut möglich, dass ihm oder ihr dort eine dieser roten Che Packungen ist Auge gefallen ist.

Und wer noch ein bisschen Anti-Establishment Blut in seinen Adern hat – oder anders gesagt seine Jugend noch nicht komplett vergessen oder verflucht hat -- der kann da eigentlich nur denken: "Cool! Na klar, kann es tödlich sein, aber ich würde wenigstens für eine gute Sache sterben. Und leben ist ja nun mal immer lebensgefährlich. Ich brauch die Schachtel … und zwar genau die und nicht eine mit Rauchen verursacht tödlichen Lungenkrebs oder Rauchen lässt Ihre Haut altern". Der Warnhinweis auf der Schachtel ist also ganz offensichtlich contra-produktiv und schafft es im Gegenteil sogar in erstaunlichen Maße Revolutionsromantik aufflammen zu lassen. Und die packt dich natürlich ganz anders, als die fast schon biedere Lagerfeuerromantik, die vor Jahren mal vom legendären Marlboro-Mann verbreitet wurde.

Der ethisch aufrechte Mensch lässt sich davon natürlich nicht so leicht einwickeln und fragt sich stattdessen: "Wieso kann ausgerechnet die Zigarettenindustrie, diese perfideste Ausgeburt des Kapitalismus ein linkes Revolutionsidol für seine Vermarktungszwecke nutzen?" Und so ein bisschen Verschwörung könnte man da durchaus wittern, denn interessanterweise gibt es diese Che Zigaretten weiterhin lediglich mit Warntext und ohne Schockbilder zu kaufen. Gab es da eine Ausnahme-Regelung oder haben die vorab soviel produziert, dass sie für die nächsten 3 Monate noch ohne Probleme die Regale füllen können? Da sich dieses Wiki dem investigativen Journalismus verbunden fühlt, haben wir uns in die Recherche gestürzt und sind im Kleingedruckten auf der Schachtel auf eine GmbH Heintz van Landewyck mit Sitz in Trier und Muttergesellschaft in Luxemburg gestoßen. Wer auf die Website geht, wird von 50er-Jahre Schwarz-Weiß Retro-Schick begrüßt. Wie 68er Rebellionspathos wirkt das nun gar nicht. Allerdings fällt es auch ziemlich schwer, dahinter Philip Morris oder einen anderen Giganten zu vermuten.

Da es nun in dieser Richtung keine investigativen Sensationen gibt, kümmern wir uns stattdessen um den wahren Grund, warum es jetzt die Schockbilder auf den Zigarettenschachteln gibt. Che Guevara ikonisiert auf der Zigarettenschachtel ist nur die Spitze des Eisbergs. Dieses Konzept hätte ja durchaus auch von Kreisen mit einem deutlich größeren Hang zum Märtyrertum aufgegriffen werden können. Das Ergebnis so einer Verschärfung ist rechts zu sehen. Gut, am Design müsste noch gearbeitet werden. Dass fast jedes Barthaar von Abu Bakr al-Baghdadi einzeln zu sehen ist, ist einfach zu viel Realismus, um die volle mythische Kraft dieser Bildsprache durschlagen zu lassen. Soweit wollte man es aber wohl gar nicht kommen lassen. Lieber gleich die Reißleine ziehen. "Die Texte müssen weg!" Man wollte sich wohl nicht darauf verlassen, dass diese IS Zigaretten immer zufällig mit dem Spruch

Rauchen kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz.

versehen werden. Märtyrertod, 72 Jungfrauen und Impotenz sind eben nicht gerade eine Idealkombination.

RolF