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2012-01-15

Robespierre ist zurück

Naja, nicht Robespierre in Persona, sondern als Idee – was aber nicht unbedingt besser sein muss. Er wurde ja gerne der "Tugendhafte" genannt und die scheint in den letzten Tagen wieder in der Politik zurück zu sein. Nicht unbedingt in Form der Taliban – die wahrscheinlich mehr mit Robespierre gemeinsam haben, als ihnen lieb sein dürfte – sondern erstaunlicherweise in der westlichen Welt. Ich war schon ein bisschen erstaunt über den Satz von der "weltweiten Empörung" über das Video mit der Leichenschändung der amerikanischen Marines. Das mag vielleicht mit daran gelegen haben, dass ich das zuerst im Radio mitbekommen hatte. Und bis die Kommentatoren dann damit rausrückten, was denn auf den Videoaufnahmen zu sehen ist, hatte ich genug Zeit mir einige Schändungsarten vorzustellen. Ich kam da von total aufgeschlitzten Gesichtern über abgeschnittene Penise zu skalpierten Häuptern und anderen archaischen Bildern und war dann fast ein bisschen erleichtert: "Ach, nur angepisst." Irgendwie will die "weltweite Empörung" nicht so recht zu dem atheistisch oder zumindest agnostischen Bild passen, das ich von der westlichen Öffentlichkeit habe. Und selbst diejenigen, die an ein Jenseits und die Unsterblichkeit der Seele glauben, folgen doch dabei nicht mehr einem alt-ägyptischen Denken, wo der Tote nur einwandfrei einbalsamiert und bestens mit Nahrungsmittel und Gold ausgerüstet, im Drüben weiter kommt. Und das gilt doch nicht nur für den christlichen Glauben im Westen, sondern, soweit ich das als Uneingeweihter beurteilen kann, auch für den muslimischen Glauben. Ich würde zwar niemand dazu einladen und freuen würde ich mich auch nicht unbedingt darüber, aber wahrscheinlich wäre es mir und meiner Seele ziemlich egal, wer da Stunden nach meinem Tod auf meine Körperhülle pinkelt.

Die Frage ist, was wäre anders gewesen, wenn die Burschen kein Video gedreht hätten. Und wenn sie sich das nach einer Nacht drüber schlafen noch mal angesehen hätten? "Oh, Mann, Scheiße! Haben wir das tatsächlich gemacht? Ab mit dem Zeug auf den digitalen Friedhof." Ja, der Vorfall ist bedauerlich und es wäre besser, wenn er gar nicht statt gefunden hätte. Aber das ist ein Grund, um sich dafür öffentlich zu entschuldigen, aber nicht um sich in eine aufgesetzt anmutende Empörung hinein zu steigern. Immerhin gab es hier keine "klammheimliche Freude" zu beobachten. Und das war ja in der Vergangenheit nicht in allen Ländern so, wenn Flugzeuge in Hochhäuser abstürzten oder Raketen aus dem Irak bis nach Israel kamen.

... aber er wird nicht Bundespräsident

Ein ähnliches Phänomen oder vielleicht etwas, das besser mit dem alten Sprichwort, dass man nicht jede Sau, die man findet, auch durchs Dorf treiben muss, beschrieben wäre, lässt sich bei der "Öffentlichkeitskampagne" mit Christian Wulff beobachten. Immerhin ist jetzt der Satz, dass dadurch auch das "Amt des Bundespräsidenten Schaden nehmen würde" nicht mehr so penetrant oft zu hören. Wieso wird da das Bundespräsidentenamt beschädigt, wenn der Herr Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident Scheiß gebaut hat? Keiner der schlauen Kommentatoren, die diesen Satz losgelassen haben, hielt es aber für nötig, zu erklären, in welcher Form da das Amt beschädigt wird. Wie kann man ein Amt überhaupt beschädigen? Ruf und Ansehen sind vielleicht hinüber, aber eben von der Person Christian Wulff und nicht vom Präsidentenamt. Sobald da ein brauchbarer Nachfolger da ist, ist wieder alles wie vorher.

Klar ist die Problematik nicht nur, das da jemand vor Jahren als Ministerpräsident was verbockt hat, sondern wie derjenige jetzt damit umgeht. Aber selbst da habe ich bedingt Verständnis dafür, denn ich wollte mich auch nicht mit Leuten rumschlagen, die mangels anderer wirklicher Neuigkeiten eine Geschichte von einem Hotel- oder Flug-Upgrade ausgraben. Selbst ich habe schon mal ein kostenloses Upgrade in die Business-Class bekommen – weil die Schlauberger von der Lufthansa die Touri-Class überbucht hatten und vorher aber nicht mehr genug ihren Flug gecancelt haben. Und ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich von Geschäftspartnern zum Essen eingeladen worden bin. Das hatte fast schon ungewollte Schnorrer-Tendenzen. Im Ernst, was soll man davon halten, wenn ein Herr Wulff mit seiner Frau ein Upgrade von einem Doppelzimmer in einem Münchner Hotel zu einer bzw. zu zwei Suiten bekommt. Er lag ja immer noch mit seiner Frau im Bett und nicht mit dem Filmproduzenten, der für ihn das Upgrade bezahlt hat – und zumindest das wäre ohnehin seine Privatsache. Allerdings lässt ja der Produzent auch verlauten, dass das ohne Wissen des Herrn Wulff abgelaufen sei. Aha, was heißt das? Dass Wulff weiterhin mit seiner Frau im kargen Doppelzimmer schlief, weil er ja nix von der Suite wusste, und das Hotel sich über die Mehreinahmen freute?

Nachdem ich mich ja nun als Kostgänger geoutet habe, wird's wohl nichts mit meiner Kandidatur zum Bundespräsidenten. Wir könnten natürlich mal wieder eine groß angelegte Kampagne auf diesem Wiki starten …
Aber das muss nicht sein. Abhilfe kommt von höchster Stelle, nein, nicht vom Papst, sondern vom Generalsekretär der UN, von Ban Ki-moon. Der formulierte nämlich in seinem Aufruf an den syrischen Staatspräsidenten "Der frische Wind des Wandels wird nicht abflauen". Durchaus treffend und ergreifend und im Original englischen Wortlaut fast noch ein bisschen markanter.
"The winds of change will not cease to blow."
Aber das ändert nichts daran, dass er das bei den Scorpions geklaut hat. Vielleicht hat er es aber auch nicht geklaut, sondern das lief im gegenseitigen Einverständnis ab, und das war nicht nur eine Warnung an den syrischen Präsidenten Assad, sondern gleichzeitig der Startschuss für eine beispielslose Kampagne, an deren Ende Klaus Meine der neue Bundespräsident sein wird. Da die Scorpions sich ja nach der dritten Abschiedstournee (oder war es erst die zweite?) aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen haben, hat er für einen neuen Job jetzt ja genug Zeit. Nationalhymne statt Stadionhymne? Was soll's, ist ja eh fast das gleiche. Aber das ist nicht die schlechteste Aussicht: Die Nationalhymne vor dem Hintergrund von unzähligen wogenden Feuerzeugen. Na okay, ich korrigiere mich: vor wogenden Feuerzeug-Apps auf dem iPhone.

RolF