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2006-07-08

Tragödien des Alltags

Ein ganz normaler Samstag in Neureut. Die Eisdiele hat zu, aber natürlich ist die gefließte Aussenterasse schon geputzt und geschrubbt. Die Strabaschranken sind auch zu, die üblichen 3 oder 4 Autos warten im routinierten Samstagvormittag Einkaufsverkehr. Wer später mit seinem Einkaufswägelchen mit 8 Leuten in der Schlange an der Supermarkt-Kasse steht, dem macht es auch nichts aus, mit seinem Wagen hinter 3 anderen zu warten, zumal der Neureuter an sich ja ein guter Deutscher ist, und seinen Motor an der geschlossenen Schranke abschaltet.

Im Gegensatz zur Eisdiele wartet die Bahnschranke nicht bis um zwölf mit dem Öffnen, sondern bewegt sich, nachdem die Bahn vorbei ist, im üblichen gemächlichen Tempo nach oben. Zündschlüssel umdrehen, Gang einlegen, Kupplung kommen lassen, all das passiert im Land von Michael Schumacher natürlich instinktiv. Das erste Auto rollt über die Schienen. In dieser Mischung aus zeitlupenartiger Bewegung und Hintergrundgeräuschen wandern die Eindrücke dieser Szenerie ins Kurzzeitgedächtnis, um dort nach wenigen Sekunden vom Anblick zweier Frauenbeine oder eines heimtückisch auf dem Gehweg lauernden Hundekots verdrängt zu werden.

Doch genau hier wird die alltägliche Routine jäh unterbrochen. Nicht weil die Frauenbeine als behaarte Männerbeine über weissen Tennissocken daherkämen oder der Hundehaufen sich als ein Berg von Zirkuselefantenkacke entpuppt hätte, sondern weil das zweite Auto aufgeregt seine Hupe ertönen läßt. "Was will der Trottel? Der vorne dran ist doch längst weg! Weiss der nicht, dass Ampelhuper später mal einen Platz in der Hölle beim Schalmeien-Orchester sicher haben?"

Ein zweiter Blick auf die Szene offenbarte die Tragödie: Die Schranke war zwar offen, aber die Ampel für die Kreuzung nach der Bahnlinie war noch rot. Der klassische Fall, passiert mindestens zwei mal pro Woche. Die Tragödie ist jetzt nicht, dass es auf der Kreuzung zu einer Massenkarambolage gekommen wäre – das wäre lediglich ein Versicherungsfall, aber keine Tragödie – sondern die völlige Hilfslosigkeit der nachfolgenden Fahrerin in dieser Kommunikationsfalle: Sie muss den Vordermann schnell auf was aufmerksam machen, also was bleibt? Gestikulieren, hupen, alles auf einmal? Es ist hoffnungslos. Hupen von hinten an der Ampel löst immer den gleichen Pawlow'schen Reflex aus: "Ja, ja, ich fahr' ja schon … (Arschloch)"

Das erinnert mich fatal an eine Situation vor ein paar Jahren: Ich will da gerade mit meinem Auto nach rechts in eine Einfahrt von einem Parkplatz abbiegen, es steht aber schon eine in der Einfahrt und will demnächst rückwärts rausfahren. Da ich mich um einen grimmigen Blick bemüht habe und gleichzeitig ein paar Meter zurückgestossen bin, wird demnächst zu sofort und sie rollt rückwärts im großen Bogen raus auf die Gegenfahrbahn, um dann sofort an mir vorbeifahren zu können. Auf der Gegenseite hat aber just jemand sein Auto geparkt und sie rollt direkt darauf zu. Da ich nicht im Schalmeien-Orchester der Hölle enden will, hupe ich nicht, sondern fange an mit den Armen zu fuchteln. Sie hat das wohl registiert, wusste es aber nicht zu interpretieren (oder hat es nur auf eine Weise interpretiert, die mir ganz und gar nicht gefallen hätte und die ich deshalb hier nicht wiedergebe). Allen neuen Entdeckungen der Quantenphysik zum Trotz gibt es trotzdem die deterministische Bahn der klassischen Mechanik und die endete in der Seitentür des geparkten Autos. Wer das schon mal erlebt hat, weiss wie jäh einen dieses laut schnarrende Geräusch von Blech auf Blech aus den Gedanken reißen kann.

RolF